Schräges Bild: mit Vollgas segeln

Sprachliche Bilder aus der Alltagsmobilität, wie „Vollgas“ oder früher „Volldampf“, sind allgegenwärtig. Man kann sie auch verwenden, wenn es gar nicht um ein Fahrzeug geht, sondern jemand sich nur beeilen soll. Aber manchmal sind sie einfach nicht angebracht. In den Tagesthemen vom 02.04.2023 hieß es zum Etappensieg einer deutschen Crew beim Ocean Race: „Auf der Zielgeraden: Vollgas – was die Malizia so hergibt.“ Nun ist die Malizia eine Segelyacht – Gas geben hätte da keine Wirkung. Auch das „Hergeben“ überzeugt nicht. Wenn man davon spricht, dass ein Fahrzeug etwas hergibt, ist die Leistung des eingebauten Motors gemeint. Beim Wind als externer Kraftquelle kommt es eher darauf an, was das Schiff aushält, und wann man besser die Segel reffen sollte. Es ist gar nicht leicht, einen Ersatz für „Vollgas“ zu finden, der zum Segeln passt. Vielleicht „Auf Biegen und Brechen“?

Was ist eigentlich eine Emission?

Eine Flugreise von Stuttgart nach Kreta und zurück verbraucht auf Basis des CO2-Emissionsrechners des Umweltbundesamt etwa 0,82 Tonnen CO2 pro Person“, war am am 31.01.2023 in dem Beitrag „Mit dem Wasserstoffflieger in den Urlaub“ auf tagesschau.de zu lesen.

Auf den ersten Blick müsste nur dem Umweltbundesamt ein „s“ angehängt werden. Auf den zweiten Blick stutzt man beim „Verbrauch“. Schön wär’s ja, aber von Flugzeugmotoren, die CO2 verbrauchen, träumt wohl nicht einmal Verkehrsminister Wissman.

Korrekt – trotzdem ändern

In einem Artikel der taz vom 18. September 2019, der vom Prozess gegen einen Wilderer handelt, findet sich ein korreker Satz, den eine Lektorin oder ein Lektor aber trotzdem ändern würde: „In der Falle lagen Rehknochen und Rehhaare – nach Überzeugung von Richter Andreas Lecker die Köder.“

Wie gesagt: Der Satz ist völlig korrekt. Aber beim Lesen stolpert man über die letzten drei Wörter. Eine stärkere Trennung der Worte „Lecker“ und „Köder“ würde dieses Stolpern verhindern. Zum Beispiel so: „In der Falle lagen Rehknochen und Rehhaare – Köder, ist Richter Andreas Lecker überzeugt.“

Zu doof?

Wer an einem Fahrkartenautomaten der Berliner Verkehrsbetriebe die Hilfetaste drückt, liest als erstes: „Die Bedienung des Automaten ist leicht.“ Als Einleitung einer allgemeinen Bedienungsanleitung wäre ein so ermutigender Satz nicht fehl am Platz. Aber er ist eine seltsame Begrüßung für Fahrgäste, die gerade die Hilfetaste drücken mussten.

Zeitsprung: Moralkeule

Das Wort des Jahres 1998 war „Rot-Grün“, gefolgt von „Viagra“ (Platz 2) und „Ich habe fertig!“ (Platz 4). Die „Moralkeule“ auf Platz 8 – Martin Walser verwendete dieses Wort in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchandels – schaffte es interessanterweise auch auch Platz 4 der Unwörter des Jahres. Das Unwort des Jahres 1998 war „sozialverträgliches Frühableben“. Karsten Vilmar, der Präsident der Bundesärztekammer, prägte es in seiner Kritik an den Sparplänen der neuen Bundesregierung.

Prioritäten

Als Autorinnen und Autoren bringen wir Informationen in eine Reihenfolge. Es lässt sich nicht vermeiden, sie dabei gleichzeitig zu gewichten. Dass das gehörig schiefgehen kann, zeigt die Cellesche Zeitung vom 5. Juli 2018. Ein Artikel auf Seite eins trägt den Titel: „Entenfamilie absichtlich überfahren?“ Keine ungewöhnliche Nachricht im Sommerloch, obwohl das Fragezeichen sie in Sphären extremer Irrelevanz erhebt. Wenn man aber zur Seite sieben weiterblättert, findet man einen ähnlich großen Artikel mit dem Titel: „Müllwagen überrollt Frau“. Zugegeben, für die Titelseite und den Weltspiegel auf Seite sieben war wahrscheinlich nicht dieselbe Person verantwortlich, und sicherlich ist der Redaktion der getötete Vogel nicht wichtiger als der getötete Mensch. Aber genau dieser Eindruck entsteht. Denn die Zeitung wird als Einheit wahrgenommen, und ein Platz auf der Titelseite signalisiert höchste Bedeutung.

Entrüpelung

Dass es auf jeden Buchstaben ankommt, zeigt ein Berliner Kleinunternehmer, der auf der Heckklappe seines Transporters neben anderen Dienstleistungen auch „Entrüpelung“ anbietet. Ob mit oder ohne „m“ – Bedarf gibt es bestimmt.

Herpeskunde

Auf Aufstellern vor Apotheken wird zurzeit eine „Revolution für Lippenherpes-Kunden“ angepriesen. Eine ungewöhnliche Koppelung. Kunde oder Kundin wird zwar oft um eine Charakterisierung ergänzt (Stammkundin; Großkunde), um ein Produkt (Stromkunde), eine Marke oder den Einkaufsort (Apothekenkundin). So gut wie nie aber wird Kundin oder Kunde etwas Unerwünschtes vorangestellt. Wenn es doch einmal geschieht, lässt es merkwürdige Interpretationen zu.

Mikrotexte

„Ab jetzt: Oster Angebote bis zu -50% reduziert!“, lautete der Betreff einer E-Mail eines Online-Händlers. Zuerst der Lektorenblick: Aus dem Kontext wird schon klar, dass es um Preisnachlässe geht. Tatsächlich steht da aber, dass es weniger Angebote geben soll. Und jetzt der Korrektorenblick: „Reduzierung“ bedeutet, dass danach weniger vorhanden ist. Das Minuszeichen vor dem Prozentwert ist daher falsch. „Oster“ ist kein eigenständiges Wort, deshalb muss „Osterangebote“ zusammengeschrieben werden. Zwischen der Zahl und dem Prozentzeichen fehlt ein Abstand. „Ab jetzt: Osterangebote mit bis zu 50 % Preisnachlass!“, wäre mein Vorschlag.

Zur Lage der deutschen Sprache

Podiumsdiskussion: Am 13. November 2017 haben die Akademieunion und die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den zweiten Bericht zur Lage der deutschen Sprache vorgestellt. Die Autorinnen und Autoren diskutierten in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter dem Titel „Mein Deutsch – unser Deutsch“ über das Verhältnis von Hochsprache und Regionalsprache, über Migrantensprache und über die Auswirkungen des Internets. Zum Mitschnitt der Veranstaltung